Cannabis-Legalisierung: Kontrollierter Rausch oder unkontrollierbare Abhängigkeit?

Jeanne Turczynski kündigt diese Diskussion als die „Mutter aller Kontroversen“ an. Bundesge-sundheitsminister Karl Lauterbach sei bis vor ein paar Jahren selbst gegen die Legalisierung von Cannabis, habe inzwischen aber seine Meinung geändert. Im Koalitionsvertrag steht bereits, dass die Legalisierung kommen soll. Ein erstes Eckpunktepapier besagt, dass der Besitz, der Konsum und der Anbau von Cannabis in bestimmten Mengen für Erwachsene ab 18 Jahren erlaubt wer-den soll. Der Erwerb soll über den Fachhandel möglich sein. Die einen würden jauchzen und sich freuen, die anderen sagten, das sei der Anfang vom Ende. Auch wenn es bisher nicht legal war, so wurde doch konsumiert. Zirka 50 Prozent der Menschen zwischen 18 und 25 Jahren hätten in Studien angegeben, schon einmal gekifft zu haben: „Richtig oder Sündenfall?“

  • Dr. Konrad Isernhagen | Praxis Gotenring Köln
    Dr. Jörn Patzak | JVA Wittlich/Rheinland-Pfalz
    Co-Chair: Claudia Schieren | VISION Köln
    Moderation: Jeanne Turczynski

  • Dr. Konrad Isernhagen aus Köln ist der Medizinier in dieser Runde und spricht sich für die Lega-lisierung aus. In seinem Impulsvortrag erklärt er, dass es in der Diskussion nicht darum gehe, ob Cannabis gut oder schlecht sei, sondern, ob Anbau, Erwerb und/oder Konsum kriminell seien. Selbstschädigendes Verhalten sei schließlich kein Straftatbestand. Dass Cannabis schädliche Fol-gen für die Gesundheit habe, sei bekannt. Gut belegt sei zum Beispiel ein Zusammenhang zwi-schen Cannabiskonsum und Panikstörungen. Zudem seien früher und hochdosierter Can-nabiskonsum zusammen mit anderen Stressoren wie Gewalt- und/oder Missbrauchserfahrungen in der Kindheit sowie eine genetische Disposition Risikofaktoren für die Entwicklung von schizo-phrenen Psychosen. Aber es gebe keinen empirischen Beleg für die These, dass Cannabis als Zugangssubstanz für andere „harte“ Drogen ("Gateway-Hypothese") fungiere. Kognitive Funkti-onsstörungen bei Erwachsenen seien bekannt, seien aber alle grundsätzlich reversibel nach ca. einem Monat Abstinenz. Problematisch sei vor allem der Cannabiskonsum bei Jugendlichen von 15 Jahren und früher. Geradezu desaströs sei ein früher und regelmäßiger, also täglicher Kon-sum. Dieser führe zu strukturellen Veränderungen im Gehirn, die nicht reversibel seien. Bei der Diskussion um die Legalisierung müsse daher ein effektiver Jugendschutz immer mitgedacht werden.

    Das Verbot einer psychotropen, rauschauslösenden Substanz sei eine Grundrechtseinschrän-kung. Diese sei laut Bundesverfassungsgericht aber nur zulässig, wenn sie ihren Zweck erreiche und dieser Zweck nicht durch eine andere Vorgehensweise erreicht werden könne. Die Er-kenntnisse aus der Prohibition zeigten aber, dass der Zweck durch das Verbot nicht erreicht wurde. Zudem könne eine Legalisierung eine wie vom Verfassungsgericht vorgegebene alterna-tive Vorgehensweise sein.

    Behauptungen, nach denen Entkriminalisierung zu erhöhten Abhängigkeitsraten bei Jugendlichen führe, seien nicht belegt, das Gegenteil scheine der Fall zu sein. Ein Vergleich mit anderen europäi-schen Ländern, die den Cannabiskonsum bereits legalisiert hätten, zeige, dass die Gesetzgebung kei-nerlei Einfluss auf die Prävalenzraten habe. Andere sozioökonomische Faktoren seien hingegen mög-licherweise viel entscheidender.

    Laut einer Umfrage der BZgA lag der Anteil der zwölf- bis 17-jährigen Jugendlichen mit regelmäßigem (also in den vergangenen zwölf Monaten mehr als zehnmaligem) Cannabis-Konsum bei 1,6 Prozent. Das sei die Gruppe, die dauerhafte Schäden bekomme, diese jungen Leute brauchten Aufklärung, gute Präventionsarbeit und gegebenenfalls Therapie, keinesfalls aber Kriminalisierung. Kriminalisierung verbaue jeden Zugang auf empathischer Grundlage.

    Ein Problem seien THC-Grenzwerte in Bezug auf die Teilnahme am Straßenverkehr. Anders als beim Promille-Wert beim Alkohol gebe es beim Cannabis-Konsum keinen festen, wis-senschaftlich definierten Grenzwert, ab dem von einer Fahruntüchtigkeit auszugehen ist. Hier müsse noch Forschungsarbeit geleistet werden.

    Ob mit der Legalisierung der Schwarzmarkt „ausgeräuchert“ werden könne, sei aus Sicht von Dr. Isernhagen nicht sicher vorhersagbar, dafür sei ebenfalls Begleitforschung nötig. Ein Erfolg hänge von vielen Faktoren ab, zum Beispiel dem Preis und der Verfügbarkeit des legalen Cannabis.

    Seinen Impulsvortrag beendet Isernhagen mit der Feststellung, dass nicht plausibel zu erklären sei, warum die nachgewiesenermaßen deutlich gefährlichere Substanz Alkohol gesellschaftlich und juristisch akzeptiert sei, während das für die überwiegende Mehrzahl der Konsumenten weitgehend unproblematische Cannabis kriminalisiert werde.

  • Dr. Jörn Patzak ist Jurist, hat ein juristisches Standardwerk zum Betäubungsmittelrecht geschrie-ben und lehnt die Legalisierung ab. Er stellt die Gegenfrage: „Wie wollen wir‘s denn anders machen und kommt am Ende das raus, was wir wollen?“. Als Leiter einer Justizvollzugsanstalt hat er täglich mit der Aufstellung und Einhaltung von Regeln zu tun. Er denkt dabei auch immer gleich mit, wie diese Regeln von den Betreffenden umgangen werden könnten und wie dies zu unterbinden wäre.

    Er stellt eine wissenschaftliche Analyse aus dem Jahr 2018 vor, die zu folgendem dem Schluss kommt: Cannabis sei keine harmlose Droge. Die evidenzbasierten Fakten zeigten: Cannabiskonsum erhöhe das Risiko für körperliche und vor allem für psychische Störungen, könne zumindest vorübergehend die Hirnleistung beeinträchtigen und führe in jedem zehnten Fall zu einer Ab-hängigkeit. Gerade für Kinder und Jugendliche könne Cannabis gefährlich werden. Die Abhän-gigkeitsrate steige auf 17 Prozent, wenn der Cannabiskonsum in der Adoleszenz beginnt und auf 25 bis 50 Prozent, wenn Cannabis täglich gebraucht werde. Die psychosozialen Risiken von häu-figem Cannabiskonsum wie vorzeitige Schulabbrüche und geringerer Bildungserfolg seien inzwi-schen empirisch belegt, auch lägen Hinweise für Risiken im sozialen Bereich vor.

    Die Auswertung der Forscher zeige, dass sich die Zahl der stationären Krankenhausbehandlungen von Menschen mit psychischen Störungen infolge von Cannabiskonsum bis 2018 fast versechs-facht habe. Gab es im Jahr 2000 noch rund 3400 solcher Fälle in Deutschland, habe dieser Wert im Jahr 2018 bereits rund 19.100 betragen. Die Klinikaufenthalte aufgrund von Alkoholabhän-gigkeit oder Schizophrenie seien in diesem Zeitraum dagegen nicht gestiegen. Die Forscher er-klärten sich den Anstieg der Behandlungen mit der besseren Verfügbarkeit und dem zunehmen-den Konsum von Cannabis in der Bevölkerung. Zudem sei der Gehalt des psychoaktiven Stoffes Tetrahydrocannabinol (THC) zum Teil sehr stark gestiegen. Das in Deutschland sichergestellte Cannabis werde seit vielen Jahren auf seinen Reinheitsgehalt hin untersucht. 1993 habe der THC-Wirkstoffgehalt beim Cannabiskraut („Marihuana“) bei drei Prozent und beim Cannabisharz („Haschisch“) bei sechs Prozent gelegen. Seit etwa 2004 werde der Gehalt bei den Cannabis-Blüten gesondert statistisch erfasst. Er habe damals bei etwa zehn bis zwölf Prozent gelegen, während das Harz weiter etwa sieben bis acht Prozent aufwies. Heute liege der THC-Gehalt bei Haschisch bei etwa 22,5 Prozent, bei den Blüten ebenfalls bei etwa 20 Prozent. Neueste Züch-tungen aus Kalifornien („Cali Weed“) wiesen sogar Konzentrationen von 30 Prozent und mehr auf. Die Konzentrationen spielten eine Rolle bei der Bekämpfung des Schwarzmarktes. Denn wenn man aus gesundheitspolitischen Gründen den Wirkstoffgehalt des legal erwerbbaren Can-nabis medizinisch begrenze, dann forciere man damit den Schwarzmarkt, der sich naturgemäß nicht an diese Grenzen halten müsse.

    Was das Verfassungsgerichtsurteil von 1994 angehe, sei auch Patzak der Meinung, dass man Er-wachsene nicht mehr strafrechtlich verfolgen sollte für den Besitz, Erwerb und die Einfuhr von geringen Mengen zum Eigenkonsum. Das Urteil sei jedoch nur deshalb verfassungskonform, weil es eine Opportunitätsvorschrift gebe, wo es um die Straffreiheit von geringen Mengen zum Ei-genkonsum gehe. Allerdings seien die Grenzmengen von Bundesland zu Bundesland verschieden gewesen und lagen zwischen 30 Gramm im Norden und sechs Gramm im Süden. Das Verfassungsgericht beauftragte den Gesetzgeber, diese Grenzmengen zu vereinheitlichen. Jedoch sei es auch heute noch so, dass in Rheinland-Pfalz zum Beispiel zehn Gramm straffrei blieben, im Saarland aber nur sechs Gramm.

    Die Legalisierung würde diesen seit 30 Jahren herrschenden Missstand beheben. Im Eckpunkte-papier der Regierungskoalition heißt es: „Die Einführung einer kontrollierten Abgabe von Ge-nusscannabis an Erwachsene verfolgt das Ziel, zu einem verbesserten Jugendschutz und Gesund-heitsschutz für Konsumentinnen und Konsumenten sowie zur Eindämmung des Schwarzmarktes beizutragen.“

    Patzak ist der Meinung, dass beide Ziele mit der Legalisierung nicht erreichbar seien. Zum einen sei neben der Umsatzsteuerpflicht auf Genusscannabis auch eine Verbrauchssteuer („Cannabis-steuer“) vorgesehen, die für Marihuana bei vier Euro pro Gramm, bei Haschisch bei fünf Euro und bei Extrakten und Konzentraten wie zum Beispiel Haschischöl bei sechs Euro pro Gramm Endverkaufsprodukt läge. Die sich daraus ergebenden Endverkaufspreise könne der Schwarz-markt locker unterbieten.

    Zum anderen sehe das Betäubungsmittelgesetz (BtmG), unter das Cannabis bisher fällt, bei Ju-gendlichen zahlreiche effektive Hilfsmaßnahmen vor, die die Betreffenden vor einem Abgleiten in die Drogenszene bewahrten. Bei dem Cannabis-Kontrollgesetz (CannKG), das vor einigen Jah-ren diskutiert aber nicht umgesetzt wurde, waren keine Hilfsmaßnahmen für Jugendliche vorge-sehen. Wenn sich eine Legalisierung an diesem Gesetzentwurf orientiere, wovon Patzak ausgehe, dann sehe er nicht, wie das eine Verbesserung des Jugendschutzes darstellen könne.

    Um den Schwarzmarkt zu eliminieren sehe Patzak als mögliche Lösung, den Genusscannabis an Konsumenten zu verschenken. Er betonte allerdings, dass er nicht gesagt habe, dass er das will, sondern nur, dass das eine Lösung des Schwarzmarktproblems sein könne.

  • Claudia Schieren vom Verein für innovative Drogenselbsthilfe in Köln und Drogenaktivistin bei JES glaubt, dass sich alle Konsumenten über die kostenlose Abgabe freuen würden. Aber sie verstehe auch, dass das niemand finanzieren wolle.

    Susanne Kottsieper von JES NRW plädiert dafür Drug Checking in Deutschland einzuführen. Es sollte die Möglichkeit geben, Drogenproben von staatlichen Stellen überprüfen und auf Schad-stoffe oder Wirkstoffgehalte hin untersuchen zu lassen. Dadurch könnten Konsument*innen effektiv geschützt werden.

    Patzak sagt, dass auch er Drug Checking unterstütze.

    Tanja aus Düsseldorf wünscht sich mehr Angebote für Jugendliche, um ihnen sinnhafte Alterna-tiven zum Drogenkonsum zu bieten. Sie selber habe in ihre Jugend mehr so aus Langeweile gekifft, weil es keine entsprechenden Angebote gab, und das sei nach ihrer Wahrnehmung in den letzten Jahren nicht besser geworden. Im Gegenteil, schöne Dinge in den Schulen wie Sport und Musik würden regelmäßig gestrichen.

    Patzak sagt, dass er aus medizinischer Sicht eigentlich eine Altersgrenze zum Cannabiskonsum ab 25 Jahren für sinnvoll hielte, weil sich das menschliche Gehirn bis zu diesem Alter entwickle. Allerdings gebe es im deutschen Recht diese Altersgrenze nicht, daher könne man nur auf schon bestehende Altersgrenzen wie die Volljährigkeit zurückgreifen. Diese Einschätzung unterstützt auch der Mediziner Dr. Isernhagen.

    Turczynski fragt abschließend, was aus Jugendschutzsicht am dringendsten umgesetzt werden müsse.

    Patzak erklärt, es werde eine Handhabe gebraucht, um die Jugendlichen, die abzukippen droh-ten, zu packen und in Präventionsarbeit hineinzubekommen. Freiwillig, das sei jedenfalls seine Erfahrung, machten die Betroffenen nichts. Ihm falle zum strafbewehrten Jugendstrafrecht keine sinnvolle Alternative ein.