STI: Doxy-PrEP: Vorbeugen um jeden Preis?

Holger Wicht stellt kurz das Thema vor: Doxy-PrEP sei ein Antibiotikum-Medikament, das man vorsorglich einnehmen könne, um sich vor sexuell übertragbaren Krankheiten (STIs) zu schützen. Für die einen sei das die konsequente und fast schon geniale Fortsetzung der Prophylaxe-Idee. Für viele Menschen sei es auch bereits gelebtes Schutzverhalten, die machen das längst. So sehe das zum Beispiel Dr. Martin Reith, Internist und Infektiologe in der Praxis haifa.med in Düs-seldorf, und schätzt diese relativ neue Möglichkeit. Er wolle auch erklären, warum das viel mehr gemacht werden sollte. Es gebe aber auch Leute, die sagten: „Seid ihr von allen guten Geistern verlassen, das ist doch totaler Wahnsinn. Antibiotika vernichten im Körper so einiges, auch ziemlich viele gute Bakterien. Das ist doch bescheuert, um sich vor behandelbaren Infektionen zu schützen, schon mal vorsorglich ein heftiges Medikament einzuwerfen.“ Außerdem müsse man Antibiotika sparsam einsetzen, sonst habe man bald den Super-Tripper am Hals und züchte Resistenzen. So in der Art sagt es Dr. Clara Lehmann von der Universitätsklinik Köln.

  • Dr. Martin Reith | haifa.med | Düsseldorf
    Prof. Dr. Clara Lehmann | Universitätsklinik Köln
    Co-Chair: Armin Schafberger | Berlin
    Moderation: Holger Wicht

  • Dr. Martin Reith sagt, er beschäftige sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema und glaubt, „dass die Doxy-PEP einen weiteren und äußerst interessanten Baustein im Rahmen der STI-Prävention darstellt oder zumindest in Zukunft darstellen könnte.“

    Rahmenbedingungen, Zahlen aus der Pre-Corona-Zeit von 2017: Man gehe davon aus, dass sich jeden Tag ca. eine Million Menschen weltweit an einer sexuell übertragbaren Erkrankung infi-zierten. In den USA wären das für das Jahr 2017 1,7 Millionen Clamydien-Infektionen, 550.000 Infektionen an Gonokokken (Tripper) und ungefähr 30.500 Infektionen mit Syphilis. Zudem seien die Steigerungsraten extrem hoch: Von 2013 bis 2017 hätten sich die Clamydien-Infektionen um 20 Prozent, die Gonokokken um 60 bis 70 Prozent und die Syphilis um 80 Prozent erhöht. Für Deutschland lägen nur für Syphilis Statistiken vor, da sie die einzige der drei Erkrankungen ist, die meldepflichtig sei. Hierzulande hätten sich die Syphilis-Neuinfektionen von 3.900 im Jahr 2005 auf rund 8.000 im Jahr 2019 erhöht. Und dieser Trend sei nach wie vor ungebrochen.

    Im Gegensatz dazu stagnierten die HIV-Neuinfektionen im gleichen Zeitraum, hätten sich gar verringert. Laut Reith habe dies sicherlich mit der Einführung von HIV-PrEP zu tun, die mittler-weile recht erfolgreich durchgeführt werde. Reith glaube, dass die Möglichkeit bestünde, die-sen Erfolg auch mit PEP oder PrEP im STI-Bereich zu erzielen.

    Die bisherigen Strategien gegen die Ausbreitung von sexuell übertragbaren Krankheiten seien vielfältig und reichten von einem ausgedehnten Beratungssystem im öffentlichen Gesundheits-wesen über die Aidshilfen und zahlreiche Arztpraxen, die entsprechende Tests anböten sowie Kondome. Deren Gebrauch sei allerdings sicherlich rückläufig, seit es die PrEP gebe. Trotz dieser vielen Maßnahmen steigen die Zahlen bei STIs im Gegensatz zu HIV.

    Eine bei der Welt-Aids-Konferenz 2022 in Montreal vorgestellte Studie habe gezeigt, dass es bei Personen, die 24 bis 72 Stunden nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr 200mg Doxycycline einnahmen, zu deutlich weniger STIs gekommen sei. Bei Clamydien habe es eine Reduktion um 70 Prozent im Vergleich zur Referenzgruppe ohne Doxy gegeben, bei Syphilis um etwa 60 Prozent, wobei die Infektionszahlen bei Syphilis insgesamt recht niedrig gewesen seien. Studienteilnehmer waren Männern und Trans-Personen, die Sex mit Männern haben, die mehr als eine sexuell übertragbare Erkrankung in den vergangenen zwölf Monaten hatten und im glei-chen Zeitraum mindestens einmal ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten.

    Doxycyclin sei ein seit Jahrzehnten bekanntes Antibiotikum, das zwar mittlerweile durch neuere Präparate etwas verdrängt worden sei, aber nach wie vor in vielen Bereichen wie zum Beispiel Lungenentzündung oder Bronchitiden eingesetzt werde. Auch mit Langzeittherapien über mehrere Monate oder sogar Jahre hinweg gebe es Erfahrungen, zum Beispiel bei der Prävention von Malaria-Infektionen oder bei kompliziert verlaufender Akne. Die Nebenwirkungen seien sehr überschaubar.

    Schlussfolgernd spräche laut Reith vieles für die Doxy-P(r)EP: Sie reduziere in Studien das Auftreten von STIs um zwei Drittel, sie sei ein weiterer Baustein in der STI-Prävention, der Wirkstoff sei sicher in der Anwendung, gut verträglich, sehr günstig und es gebe jahrzehntelange Erfahrungen damit. Zudem bestehe die Möglichkeit, STIs – insbesondere Chlamydien- und Syphilisinfektionen – in der Community zurückzudrängen und dadurch teure und nebenwirkungsreiche Antibiotika einzusparen.

  • Prof. Dr. Clara Lehmann sieht das anders. Ihr ist wichtig, dass man sich über die Konsequenzen im Klaren ist, was es bedeutet, Antibiotika einzusetzen, ohne sich richtig zu überlegen, in wel-che Richtung das gehen soll. Sicher stiegen die STIs in Europa an, darunter auch die Gonokok-ken, insbesondere in der Gruppe der Männer, die mit Männern Sex haben. Und dass, trotz der zuvor von Reith dargestellten Maßnahmen. Sie verstehe, dass man daher nach anderen Lösun-gen suche und nun glaubt, eine dieser Lösungen könne die PEP oder PrEP sein.  

    Dem müsse sie aber widersprechen. Es habe „ganz, ganz schlimme Konsequenzen“, wenn diese Antibiotika so breit eingesetzt würden. Untersuchungen hätten gezeigt, dass der Grad der Zivili-sation mit der Diversität des Darm-Mikrobioms zusammenhänge. Je höher der Zivilisationsgrad ansteige, desto geringer werde – durch den vermehrten Einsatz von Antibiotika, auch in der Tierhaltung – die Vielfalt an guten, also für den Menschen positiven, Bakterien, Viren und Pilze im Darm. Resistenzen breiten sich aus. Eine Studie zeige, dass sich im Mikrobiom eines gesunden Menschen zahlreiche Resistenzgene fänden, vor allem solche, die auch in der Tierhaltung eingesetzt würden. Das zeige, dass der Einsatz von Antibiotika ganz klar langfristige Konsequen-zen hat, die man nicht ignorieren dürfe.

    Man wisse, dass die Gonokokken aufgrund des breiten Einsatzes von unterschiedlichen Antibiotika zum Beispiel auch eine Resistenz gegen Ciprofloxacin entwickelt hätten. Ciprofloxacin ist ein synthetisches Breitbandantibiotikum, das zu den wichtigsten Antibiotika zählt und auf der Liste der unentbehrlichen Medikamente der WHO steht. Und es seien kaum neue Antibiotika in der Entwicklung.

    Lehmann betont noch einmal, dass die Darmmikrobiotika von großer Bedeutung im menschlichen Organismus seien, Antibiotika auch beim Darmmikrobiom einen „Kollateralschaden“ an-richteten und schließlich durch die Ausbreitung von (resistenten) Erregern das Infektionsrisiko erhöhten.

    Das Antibiotikum Doxycyclin sollte daher, so sieht es Lehmann, nicht zur Vorbeugung von STDs eingesetzt werden. Eine erhöhte Exposition gegenüber Doxycyclin sei bedenklich, weil sie bei anderen Organismen weitere Resistenzen hervorrufen könne. Das schränke für die Zukunft die Behandlung von Personen und Infektionen ein.

  • Reith sagt, man müsse unterscheiden zwischen dem Einsatz eines First-Line-Antibiotikums wie Doxycyclin zur Prophylaxe und einem Reserve-Antibiotikum wie Rocephin/Ceftriaxon, mit dem eine Gonokokken-Infektion sinnvoll behandelt werden müsse. Rocephin richte einen viel größeren Schaden bei der Diversität des Mikrobioms an, als das Doxycyclin. Lehmann widerspricht und sagt, dass sei nicht der Fall.

    Armin Schafberger war langjähriger Medizinreferent bei der Deutschen Aidshilfe und ist jetzt als Arzt und Gesundheitswissenschaftler tätig. Er sagt, der Vorteil von Doxycyclin sei, dass es noch relativ breit gegen viele Infektionen wirke. Das sei allerdings gleichzeitig auch ein Nachteil für das Mikrobiom. Und die Gonokokken erwische man damit nicht so gut. Er erklärt, dass inzwi-schen acht Studien zu PEP und PrEP mit knapp 2000 Proband*innen liefen. Innerhalb der nächs-ten zwei Jahre rechne er mit hochinteressanten Ergebnissen. Es sei allerdings auch sehr wichtig, sich wissenschaftlich mit dem Thema zu beschäftigen, denn Patientenaufklärung sei wichtig, weil Doxycyclin kein verschreibungspflichtiges Medikament sei, jeder könne jederzeit eine Therapie starten.

    Schafberger geht auch auf den Unterschied zwischen PrEP und PEP ein. Bei einer Pre-Expositions-Prophylaxe (PreP) würden täglich 100 Milligramm Doxycyclin eingenommen. Aufs Jahr hochgerechnet seien das 36,5 Gramm Antibiotikum im Körper. Mit dieser Menge könne man 26-mal eine einwöchige Chlamydien-Therapie durchführen. Die PEP sei die kurzfristige Prophylaxe-Therapie, die bis zu 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr be-gonnen werde. „Je früher desto besser“, fügt er hinzu, nach 72 Stunden hätten sich die Gonokokken schon relativ stark vermehrt. Die eine Hälfte der Studien laufe mit PrEP, die andere Hälfte mit PEP.

    Anselm Gottstein aus Düsseldorf ist ebenfalls der Ansicht, dass das Mikrobiom wahnsinnig wich-tig sei. Er plädiert dafür, die Patient*innen aufzuklären über mögliche Schäden und ihnen dann die Entscheidung darüber zu überlassen, ob sie sich je nach ihrem persönlichen Risiko-Verhalten für eine Doxy-PEP entscheiden möchten oder nicht.

    Siggi Schwarze lehnt die Dauer-Doxy-Therapie mit scharfen Worten ab. Die PEP, also die Einmalgabe nach dem Risikokontakt, halte er jedoch für sinnvoll. Man müsse im Blick behalten, dass nicht alle Antibiotika gleich wirkten. Doxycyclin wirke zum Beispiel bakteriostatisch, es bringe die Bakterien nicht um, sondern hindere sie nur für eine kurze Zeit an ihrem Wachstum. Die Idee dabei ist, dass in dieser kurzen Zeit das Immunsystem sein Job machen kann und sich das Mikrobiom wieder erholt. Eine Einmalgabe kille also nicht das Darmmikrobiom, anders als zum Beispiel Penicillin, das tatsächlich die Bakterien abtöte. Das Problem mit den Resistenzen komme gar nicht so sehr aus dem medizinischen Einsatz, sondern aus der übermäßigen Verwendung von Antibiotika in der Tiermast, das sei quasi „der Elefant im Raum“.

    Sven Schellberg macht sich Sorgen darüber, dass schwuler Sex nur noch mit diversen Substanzen denkbar wird: Präparate, die einen schön genug, fit Genug, geil genug und gesund genug für schwulen Sex machen. Er sehe da eine gewisse Homophobie drin, nämlich dass man im Prinzip schwule Sexualität eigentlich nun noch dann leben könne, wenn man ein bisschen ein schlech-tes Gewissen hat, entweder jemanden anzustecken, selbst krank zu werden, nicht hart, nicht schön, nicht geil drauf so sein.

    Lehmann will den Einwand der bakteriostatischen Antibiotika nicht gelten lassen. Es habe sich gezeigt, dass auch lediglich bakteriostatische Antibiotika das Mikrobiom erheblich veränderten. Sie ist der Meinung, es brauche noch viel mehr Daten, um die Gefährdung für das Mikrobiom einschätzen zu können.

    Zum Schluss möchte Reith deutlich machen, dass er zwischen PrEP und PEP unterscheide. Die PrEP, also die tägliche Prophylaxe-Tablette, sei für ihn ein absolutes No-Go. Die PEP hingegen halte er bei Menschen mit einem bestimmten Risikoverhalten für sinnvoll, wenn dem eine Aufklärung auch über die Risiken für das Mikrobiom vorausgehe.

    Lehmann fordert einen Nachweis für die Wirksamkeit der PEP-/PrEP-Therapie. Es gebe zwar Stu-dienergebnisse, aber noch keine Ergebnisse in der Masse. Auch sei noch unerforscht, was bei Reinfektionen mit STDs passiere. Und über Mikrobiome und Resistenzen wisse man auch noch zu wenig. Die Bedrohung sei aber groß, nicht umsonst habe die WHO das Thema zu einem der zehn größten Gesundheitsprobleme weltweit erklärt.